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Das Mekka der Himmelsstürmer

Ein Besuch am Spaceport America
Im Mekka der Himmelsstürmer
von Andrea Köhler
Richard Branson ist nicht der Einzige, der Privatkunden den Traum von der Reise ins Weltall erfüllen will. Doch der Absturz des Spaceship Two hat die Realisierung des Projekts einmal mehr verzögert.

Hier hat die Zukunft schon fast begonnen: Der von Norman Foster entworfene Spaceport America, welcher die Raumschiffe von Virgin Galactic beherbergen soll. (Bild: Albuquerque Journal / Corbis / Dukas)

Die Reise in den Weltraum beginnt in Truth or Consequences, einer Kleinstadt am Rio Grande, rund 50 Kilometer vom Spaceport America entfernt. Hier startet der Kleinbus, der uns zum Hort der Zukunft zu bringen verspricht, dorthin, wo man dem uralten Traum der Menschheit ein bisschen näher gekommen zu sein glaubt: dem Flug zu den Sternen, der Odyssee ins All. Die Fahrt geht durch eine endlose Wüste aus Staub, der Horizont gesäumt von nichts als ein paar Wacholderbüschen. Truth or Consequences ist der einzige Ort im Umkreis des jüngst in die Schlagzeilen geratenen Weltraumbahnhofs, ein Flecken, in dem es ausser ein paar heissen Quellen und einer Handvoll Hotels wenig zu sehen gibt. Das sollte eigentlich längst ganz anders sein. Fast eine Viertelmilliarde Dollar haben die Steuerzahler New Mexicos in den Spaceport America investiert – in der Hoffnung auf einen Boom, der nicht kommen will. Truth or Consequences ist auf dem Weg, zu einer der teuersten Geisterstädte der USA zu werden.

«The first mile is free»

«Wahrheit oder Konsequenzen» – der kuriose Name des Wüstenstädtchens, das sich vor ein paar Jahrzehnten nach einer populären Radio-Quizshow umbenannt hat, muss dem Chef von Virgin Galactic, Richard Branson, nun wie bitterer Hohn in den Ohren klingen. Seit der Firmengründung im Jahr 2004 behauptet der daueroptimistische Mieter des Weltraumbahnhofs, demnächst als erster Privatmann ins Weltall starten zu können – eine Ankündigung, die mittlerweile so oft wiederholt und aufgeschoben wurde, dass dem selbsternannten «Serien-Unternehmer» der Ruf eines Scharlatans oder Schönredners anhängt. Die jüngste tragische Konsequenz war der Absturz des Spaceship Two, bei dem ein Pilot ums Leben kam und ein anderer schwer verletzt wurde. Nach einer Ankündigung im vergangenen Frühjahr hätten eigentlich Branson und seine beiden Kinder an diesem Tag abheben sollen.

Auch wenn der erste kommerzielle Weltraumflug bisher an immer neuen Problemen scheiterte – der Spaceport America ist fertiggestellt. Die Landebahn, die Leitzentrale mit ihren futuristischen Monitoren und die gigantische Abfertigungshalle samt Besucherrampe, kurz: die ganze hochkomplizierte Apparatur wartet auf den grossen Moment. Auch eine Passagierliste existiert seit langem; der Preis für das Ticket zu den Sternen beträgt 250 000 Dollar. Über 600 Personen haben bisher bei Virgin Galactic gebucht, Hollywoodstars wie Angelina Jolie, Leonardo DiCaprio oder Kate Winslet, aber auch weniger glamouröse Raumfahrt-Besessene, die ihr gesamtes Vermögen in den Menschheitstraum stecken, die Erde einmal von aussen sehen zu können. Da der Weltraumbahnhof 1600 Meter hoch liegt, hat der erprobte Marketingstratege Branson den hübschen Werbeslogan «The first mile is free» geprägt.

Wie ein riesiger gestrandeter Rochen hockt der Spaceport im Wüstensand, ein schräg abfallender Rundbau mit gigantischen Seitenflügeln und einem grossen Stirn-Auge. Entworfen hat das Gebäude der Architekt Norman Foster. An der Rückseite gibt eine riesige Glasfassade den Blick auf die Start- und Landebahn frei; von ferne sieht das Gebäude aus, als ob es aus dem Boden herauskröche. Der Spaceport soll sich möglichst nahtlos in die Landschaft einpassen; sein Dach wurde mit der Flora der Wüste bepflanzt. Darum herum nichts als Leere und Wind, der Himmel scheint hier schon am Boden unendlich zu sein. Eine kilometerlange Start- und Landebahn ebnet den Weg ins All. Anders als die Raumschiffe der Konkurrenz startet Spaceship Two nicht senkrecht ins All, sondern wird von dem Mutterschiff White Knight Two in 15 000 Meter Höhe befördert, wo die Rakete ausgeklinkt und gezündet wird. Mit viereinhalbfacher Schallgeschwindigkeit soll sie dann auf eine Höhe von über 100 Kilometern in den Orbit schiessen und in einem 25-minütigen Gleitflug wieder in die Erdatmosphäre eintreten.

Der Raketenantrieb bereitet den Ingenieuren von jeher Sorge; beim vorletzten Testflug erreichte das Raumschiff lediglich eine Höhe von 21 000 Metern. Es war der Rekord, auch wenn bis zum Ziel noch 79 000 Meter fehlten. Gleichwohl verschob Branson den Jungfernflug immer nur um höchstens ein halbes Jahr. Der letzte Versuch dann, bei dem ein neuer Treibstoff getestet wurde, endete im Desaster. Ob der Treibstoff die Ursache für den Absturz war, ist bis anhin ungeklärt; andere Theorien gehen von einem Pilotenfehler aus. So oder so scheint das Antriebssystem noch weit von der angestrebten Funktionstüchtigkeit entfernt. Doch Branson will weitermachen; «es geht nicht darum, nie zu fallen, sondern darum, immer wieder aufzustehen», twitterte er nach dem Unglück. Schliesslich nimmt Virgin Galactic nicht den ersten Rückschlag und auch nicht die ersten Toten hin: Bei der Explosion einer Antriebsrakete vor sieben Jahren waren bereits drei Menschen ums Leben gekommen. Bisher sind offiziell 400 Millionen Dollar in dieses Wagnis geflossen; der Branson-Biograf Tom Bower schätzt die tatsächliche Summe freilich auf 900 Millionen Dollar.

Virgin Galactic ist nicht das einzige Unternehmen, das den Himmel stürmen will; dem Weltraum gilt die Sehnsucht der Stunde. Doch die Konkurrenz, wie etwa das Space-Unternehmen Blue Origin des Amazon-Tycoons Jeff Bezos, steckt noch in den Kinderschuhen. Es leuchtet ein, dass der «Get it all»-Stratege seinen Zugriff auch auf den Weltraum ausdehnen will. Bezos‘ Idee, seine Kunden für zweieinhalb Minuten in kosmische Dimensionen befördern zu lassen, um sie «mit der Schönheit unseres Planeten bekannt zu machen», nimmt sich freilich bescheiden aus im Vergleich zu dem Vorhaben des «Raumfahrt-Juristen» Art Dula, CEO von Excalibur Almaz Limited, der seine Klienten für den Schätzpreis von 150 Millionen Dollar gleich «to the far side of the moon» katapultieren will. «Departure Date: Thirty months after a contract is signed.»

Auch wenn sich all diese hochfliegenden Pläne nun ausnehmen wie ein Menetekel im Sand: Die Wüste ist ein Landstrich, der dem Himmel schon immer näher war. Einst führte durch dieses Terrain ein heiliger Indianerpfad, heute verzeichnet die Landkarte des New Mexico Museum of Space History stattdessen den «New Mexico Space Trail» mit über fünfzig Weltraum-relevanten Attraktionspunkten. Nicht weit vom Spaceport America, auf dem Testgelände White Sands Missile Range der US Army, zündete Wernher von Braun die ersten Vorläufer für die bemannte Raumfahrt. Die Astronauten der Apollo-Mission lernten dort ihre Mondlandefähre zu navigieren. Weiter im Osten, in dem kleinen Ort Roswell, haben die Strassenlaternen Köpfe wie grüne Marsmännchen – wohl als Erinnerung daran, dass hier im Jahr 1947 ein Ufo abgestürzt sein soll. Das Ereignis schlug noch Jahrzehnte danach solche Wellen, dass in Roswell Anfang der 1990er Jahre ein «International UFO Museum and Research Center» seine Tore öffnete, das seine wissenschaftliche Mission nicht weniger ernst nimmt als Sir Richard Branson die seine.

Reality-Show auf dem Mars

Wer gross träumt, lässt sich von bitteren Wahrheiten und katastrophalen Konsequenzen nicht abhalten. Branson heckt bereits Pläne für intergalaktische Verbindungen aus; in Abu Dhabi soll demnächst ein weiterer Weltraumbahnhof entstehen. Auch Hotels im All sind längst in seinem Visier. Das ist freilich nichts gegen die Visionen des Niederländers Bas Lansdorp, der eine «Reality-Show» auf dem Mars einrichten will. Ab 2025 sollen willige Kandidaten eine extraterrestrische Kolonie auf dem roten Planeten aufbauen; das Ganze wird als «das grösste Medienereignis der Weltgeschichte» angekündigt – und soll dergestalt auch finanziert werden. Über zweihunderttausend Aspiranten aus 140 Ländern haben sich beworben, einige davon gar im Adamskostüm. Weshalb sie das ausgerechnet für diese Mission empfehlen soll, ist nicht ganz klar: Auf dem Mars herrschen durchschnittlich minus 63 Grad Celsius; die Atmosphäre besteht hauptsächlich aus Kohlendioxid. Die Bewerbungskriterien sind gleichwohl nicht sehr elaboriert: Gesund müssen die Kandidaten sein und über gute Englischkenntnisse verfügen. Eine unabdingbare Eigenschaft wird allerdings verschwiegen: Wer den siebenmonatigen Flug zum roten Planeten trotz den starken Strahlungen überlebt, muss Reue-resistent sein. Ein Rückflug zur Erde ist im Skript nämlich nicht vorgesehen.

spaceport (Bild Stephan Krass)